Engelbert I.

„Weh dem, der den edlen Fürsten erschlug!“

Der sensationelle mittelalterliche Kriminalfall Engelbert I. von Köln und die Entstehung der Grafschaft Limburg.

Die Vortragsveranstaltung mit Dias von Prof. Dr. Gerhard E. Sollbach (Herdecke) fand am 16. April 2008 im Fürstensaal von Schloss Hohenlimburg statt. Eine Gemeinschaftsveranstaltung des Hohenlimburger Heimatvereins mit dem Historischen Centrum Hagen.

Der Sitz des Hauses von Berg war Schloss Burg an der Wupper. Vor diesem Bauwerk wurde Graf Engelbert 1925, 700 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod, ein Reiterstandbild gesetzt. Foto: Widbert Felka, 2. Juni 2007

Der Kriminalfall
Anschlag in dem Hohlweg am Gevelsberg

Am späten Nachmittag des 7. November 1225 wurde der Erzbischof Engelbert I. von Köln in einem Hohlweg am Fuß des Gevelsbergs zwischen Hagen und Schwelm überfallen und auf brutale Weise erschlagen. Anführer bei dem Überfall war ein Verwandter Engelberts, Graf Friedrich von Isenberg. Der Kirchenfürst mit seiner Begleitung befand sich seinerzeit auf dem Rückweg von Soest, wo er vergeblich versucht hatte, mit Graf Friedrich von Isenberg eine friedliche Einigung wegen der von dem Grafen besessenen und ausgeübten Kirchenvogtei über die Reichsabtei Essen zu erzielen. Die Kirchenvogtei war dem Anspruch nach eine weltliche Schutzherrschaft über kirchliches Gut. Nach zeitgenössischen Quellen missbrauchte Graf Friedrich jedoch seine Vogteirechte und nutzte sie rücksichtslos zur eigenen materiellen Bereicherung und zum Schaden der Reichsabtei aus.

Zeitgenössischer Bericht

Wir sind über den äußeren Ablauf des Anschlags auf Erzbischof Engelbert für mittelalterliche Geschehnisse tatsächlich sehr genau und detailreich informiert. Es gibt hierüber nämlich den Bericht eines Augenzeugen, des Schreibers Tobias des Grafen Friedrich von Isenberg.

Den Bericht des Tobias hat der Biograf und Zeitgenosse Engelberts, der Zisterziensermönch und damalige Prior des Klosters Heisterbach (bei Königswinter), Caesarius, als Quelle für die Schilderung des Anschlags auf den Erzbischof am Fuß des Gevelsberg benutzt. Caesarius von Heisterbach zitiert dabei sogar eine längere Passage daraus wörtlich. Nach der Schilderung des Caesarius ist der Erzbischof unzweifelhaft einem persönlich motivierten Mordanschlag Friedrichs von Isenberg zum Opfer gefallen. Das Motiv war der Groll des Grafen gegenüber dem Erzbischof, weil dieser ihm seine kirchenvogteilichen Rechte über die Reichsabtei Essen wegnehmen wollte. Der Erzbischof war folglich als Verteidiger der kirchlichen Interessen umgebracht worden und somit ein Märtyrer und verdiente es daher auch, heilig gesprochen zu werden.

Jahrhunderte lang hat man diese Darstellung des mittelalterlichen Zeitgenossen Engelberts vorbehaltlos geglaubt. Bedenklich stimmt zunächst aber schon, dass Caesarius, wie er selbst schreibt, seine Engelbert-Biografie im ausdrücklichen Auftrag der Kölner Kirche bzw. von Engelberts Nachfolger, Erzbischof Heinrich I. von Molenark, verfasst hat. Die Kölner Kirchenpartei verfolgte aber dabei das erklärte Ziel, Engelbert als Märtyrer zu erweisen und damit auch seine Heiligsprechung zu erreichen. Aber – Engelbert ist von Rom nie, bis heute nicht kanonisiert, also offiziell heiliggesprochen worden. Wusste die Kurie vielleicht mehr über die Vorgänge und wahren Hintergründe der Bluttat, als damals bekannt wurde und uns überliefert worden ist? Engelbert wird lediglich als Diözesanheiliger verehrt.

Mord?

Gegen einen Mordanschlag spricht auch die recht große Zahl von mindestens 25 an dem Überfall beteiligten Bewaffneten, die in einer zeitgenössischen Quelle erwähnt werden. Zur Ausführung eines Mordes aus dem Hinterhalt auf diesem ausdrücklich als eng beschriebenen Hohlweg hätten aber erheblich weniger Leute genügt, die sich auf den hierauf ja nicht vorbereiteten und daher völlig ungewappneten Engelbert stürzen und ihn hätten töten können. Außerdem wurde das Zeichen zum Losschlagen durch einen grellen Pfiff gegeben. Dadurch wäre aber bei einem geplanten Mordanschlag der Erzbischof und seine Begleitung nur unnötig gewarnt worden. Danach griffen die von Friedrich vorausgeschickten Leute aber, wie der Bericht des Tobias bzw. Caesarius ausdrücklich sagt, nicht den flüchtenden und ihnen zu Pferd entgegen preschenden Erzbischof selbst an, obwohl sie, wie ausdrücklich erwähnt wird, ihre Schwerter gezogen hatten. Vielmehr fielen sie ihm in die Zügel und rissen in der Absicht, sein Pferd zum Stehen zu bringen, dieses mit aller Gewalt herum. Doch gelang es dem Erzbischof offensichtlich, durchzubrechen und den Hohlweg hinab zu fliehen. Ebenso griff einer von Friedrichs Männern zu Pferd, als er den Erzbischof eingeholt hatte, diesen nicht mit der Waffe an, sondern packte ihn am Kragen seines Mantels und riss ihn schließlich mit sich zu Boden.

Engelbert gelang es jedoch, sich zu befreien und seitwärts in das Unterholz zu flüchten. Den sich am Saum seines Mantels festklammernden Verfolger schleifte er dabei hinter sich her. Erst danach kam es zum ersten Angriff auf den Erzbischof mit einer Waffe. Als nämlich ein gewisser Giselher hinzukam und den in das Unterholz flüchtenden Erzbischof erspähte, eilte er hinter Engelbert her und versetzte ihm mit dem Schwert einen Schlag gegen den Kopf. Dieser Schlag muss Engelbert das Bewusstsein geraubt, ihn zu Boden gestreckt und schließlich auch seinen Tod herbeigeführt haben. Bei dem Versuch, Engelbert unbedingt an der Flucht zu hindern, mag dieser Mann in seinem erregten Zustand mit dem Schwert (zu heftig) zugeschlagen und dadurch einen vielleicht ursprünglichen Plan zur Gefangennahme des Erzbischofs zunichte gemacht haben.

Rechtsmedizinischer Untersuchungsbefund

Eine 1978 zur Reliquienentnahme vorgenommene Öffnung des im Kölner Dom bzw. heute in der dortigen Schatzkammer aufgewahrten Engelbert-Schreins ermöglichte eine (rechts-)medizinische Untersuchung der noch vorhandenen und erstaunlich gut erhaltenen Gebeine Engelberts. Sie bestätigte, so weit sich auf diesem Weg Aussagen gewinnen lassen, bis ins Detail die in der Engelbert-Vita bzw. in dem Bericht des Schreibers Tobias gegebene Darstellung des äußeren Ablaufs des Anschlags auf Erzbischof Engelbert. Nach dem Bericht des Augenzeugen Tobias bzw. den Angaben der Engelbert-Vita stachen und hieben die Angreifer auf den Erzbischof erst ein, als dieser bereits am Boden lag. Auch bezeugt die Art der festgestellten Knochenverletzungen, dass die gegen den Kopf geführten Gewalthandlungen vorwiegend von stumpfen Werkzeugen herrühren. Heißt das vielleicht, dass der Erzbischof tatsächlich zunächst nur bewegungsunfähig gemacht bzw. an der Flucht gehindert und gar nicht getötet werden sollte? Noch in einem anderen Punkt bestätigt der medizinische Untersuchungsbefund die Angaben in der Engelbert-Vita. Anhand der Ausmessung der Extremitätenknochen wurde die Körpergröße Engelberts auf knapp 1,80 m berechnet. Das war für die damalige Zeit ein ungewöhnliches Körpermaß und erklärt weitgehend auch, weshalb der vom Pferd gerissene und zu Boden gestürzte Engelbert seinen Angreifer abschütteln und flüchten konnte.

Auch die Angabe des Caesarius, die Angreifer seien schließlich „wie grimmige und hungrige Hunde“ über den toten oder doch bereits dem Tod nahen Engelbert hergefallen und hätten ihn „vom Scheitel bis zur Sohle“ mit ihren scharfen Messern durchbohrt, wird durch die Vielzahl der festgestellten, über den ganzen Körper verteilten und von Hieb- und Stichverletzungen herrührenden Knochenbeschädigungen gestützt.

Gefangennahme geplant?

Fazit: Der Überfall auf Erzbischof Engelbert I. von Köln ging offenbar von einer Adelspartei aus, deren führende Köpfe rheinisch-westfälische Große waren. Darauf weisen auch etwas dunkle Andeutungen des Caesarius in seiner Engelbert-Biografie hin. Diese Adligen waren über das energische landesherrliche Vorgehen des Erzbischofs aufgebracht und sahen sich in ihren traditionellen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Rechten empfindlich beschnitten. Der Anschlag auf Engelbert hatte somit im Wesentlichen politische Gründe. Seine Ausführung wie auch den Oberbefehl bei dem Überfall überließ man Graf Friedrich von Isenberg, der wegen der Angelegenheit der Essener Kirchenvogtei einen Groll gegenüber dem Erzbischof empfand, gegen den andererseits aber Engelbert keinen Verdacht hegte. Es scheint, als ob tatsächlich zunächst nur eine Gefangennahme des Erzbischofs geplant war. Die ging aber schief ging und führte zum gar nicht geplanten Tod des Erzbischofs. Die Tat wäre demnach also rechtlich kein Mord, sondern Totschlag gewesen.

Entstehung der Grafschaft Limburg

Das Geschehen am 7. November 1225 am Gevelsberg hatte eine Reihe recht verschiedener Folgen, darunter auch eine für den heutigen Raum Hohenlimburg. Tatsächlich ist die Entstehung von Hohenlimburg bzw. zunächst der Grafschaft Limburg im 13. Jahrhundert eine Folge dieser Bluttat von 1225 gewesen. Der als Mörder Engelberts gebranntmarkte und von Kirche und Reich geächtete und unehrenhaft hingerichtete Graf Friedrich von Isenberg verlor dadurch auch sämtlichen Güter- und Lehnsbesitz, den die Familie in Westfalen und im Rheinland seinerzeit hatte. Einen Teil des Isenbergischen Familienbesitzes zog der neue Kölner Erzbischof Heinrich von Molenark an sich, den größten Teil nahm aber Graf Adolf von der Mark in Besitz.

Irgendwann in den 1230er Jahren hat jedoch der älteste Sohn des Grafen Friedrich von Isenberg, Dietrich, mit Unterstützung seines mächtigen Onkels, des Herzogs Heinrich IV. von Limburg und Grafen von Berg, und verschiedener westfälischer Verbündeter versucht, die vornehmlich dem Grafenhaus Mark zugefallenen Besitztümer, Titel und Rechte seines Vaters zurückzuerhalten. Gegen 1240 hatte er sich dann, vermutlich auf väterlichem Allodialgut, mit einem militärischen Stützpunkt an der unteren Lenne festgesetzt. Am 17. Juli 1242 übertrug Graf Dietrich I. von Isenberg jedenfalls eine als Limburg bezeichnete und damit erstmals urkundlich bezeugte Befestigung an der Lenne sowie mehrere Güter an Herzog Heinrich IV. von Limburg, um sie anschließend von seinem Onkel als Lehen des Grafenhauses Berg zu empfangen.

Die Anstrengungen Graf Dietrichs I. von Isenberg, der noch lange zwischen dem Titel Graf von Isenberg und Graf von Limburg schwankte, seinen väterlichen Besitz zurück zu gewinnen, waren letztlich jedoch nur bedingt erfolgreich. Es gelang ihm lediglich, einen kleinen Teil des früheren Familiengutes wieder zu erhalten. In seiner ein gutes halbes Jahrhundert währenden Regierungszeit (er starb 1299 oder 1301) haben sich dann aber die wichtigsten politischen Entwicklungen vollzogen, die das Gebiet der neuen Grafschaft Limburg an der Lenne prägten, ihren Rechtszustand festlegten sowie die territorialen Grenzen dieses verhältnismäßig kleinen, bis 1808 bestehenden landesherrlichen Territoriums festlegten.

(Text: Gerhard E. Sollbach, April 2008)

Zur Person: Gerhard E. Sollbach

Der Referent, Prof. Dr. Gerhard E. Sollbach aus Herdecke, lehrt mittelalterliche Sozial- und Geistesgeschichte an der Universität Dortmund. Er hat sich seit längerem intensiv wissenschaftlich mit dem Fall Engelbert beschäftigt und dabei eine eigene These entwickelt. In seinem Dia-Vortrag brachte Prof. Sollbach – gestützt auf seine Forschungsergebnisse mit den Methoden der modernen historischen Forschung und unter Einbeziehung u. a. der Befunde einer Untersuchung an dem erhaltenen Skelett Engelberts – etwas Licht in einen bisher noch immer ungeklärten spektakulären Kriminalfall des Mittelalters. Im Zusammenhang damit ging er zum Schluss auch noch auf die Frage ein, ob die Schaffung der neuen Grafschaft Limburg letztlich nicht auch eine – unbeabsichtigte – Folge des von der (Kölner) Kirche seinerzeit betriebenen Verleumdungs- und Propagandafeldzugs gewesen ist.

Prof. Dr. Gerhard E. Sollbach (Bildmitte) bei seinem Vortrag auf Schloss Hohenlimburg, eingerahmt von Peter Schöne (links) und Widbert Felka vom Hohenlimburger Heimatverein. Foto: Arno Isenberg, 16. April 2008

Die Vortragveranstaltung mit Prof. Sollbach im Blickfeld der Presse: